MITGLIEDER

Text von:
Anton Holzer

Ausbaufähig - robust - preisgünstig


Österreich im Kleinformat

Im Schaufenster hängen Plastiksäckchen mit Miniobjekten, ebenfalls aus Plastik: Kühe, Menschen, Gartenzäune und andere Gegenstände. Darunter in sorgfältiger Handschrift eine Preisliste: "Figuren Natur, Menschen: 35 ÖS, Kühe und Pferde: 30 ÖS, Ladegut bunt: 25 ÖS, Gartenmöbel: 18 ÖS, Holzplanke: 3 ÖS, Zaungarnitur: 7 ÖS, Eisenbahnzeichen: 60 ÖS."
Es fällt auf: die Menschen sind gar nicht so teuer, sie kosten nur 5 ÖS mehr als die Kühe und Pferde, verglichen damit sind die Eisenbahnzeichen gar nicht so billig, freilich sind in einer Packung mehrere zusammengefaßt. Ein genauerer Blick ins Schaufenster liefert aber eine weitere Erklärung für diese Preisdifferenz: die Eisenbahnzeichen sind wichtiger als die Kühe und die Menschen, denn hier werden Modelleisenbahnen verkauft und nicht etwa Puppen. Die kleinen Gegenstände sind nur winzige Attribute einer größeren Attraktion. Alles dreht sich um die kleinen Lokomotiven und Waggons, die auf den Minigeleisen ihre Runden ziehen: Modelleisenbahnen der Marke "Kleinbahn". Der Name ist Programm. Klein sind die Zuggarnituren, Klein lautet aber auch der Name des Ingenieurs, der dieses Erzeugnis seit einem halben Jahrhundert auf den Markt bringt. Klein ist auch die Welt, die Landschaft, in die diese Eisenbahnen gesetzt sind: sie heißt Österreich.
Das Besondere an der Kleinbahnwelt ist, daß die Ware ein dezidiert österreichisches Produkt ist. "Die Kleinbahn", lesen wir im Prospekt, "ist ein österreichisches Unternehmen, das mit 50jähriger Tradition speziell für den österreichischen Kunden arbeitet." Wer dieser österreichische Kunde genau ist, ist schwer zu sagen. Ein Bekannter von mir meinte, Modelleisebahnbauer und -käufer seien vorwiegend altmodisch gekleidete Männer. Ob das stimmt? Die Kleinbahn ist aber, so stellen wir bei näherem Hinsehen fest, mehr als nur eine vielleicht ein wenig verschrobene Spielzeugwelt, sie ist auch ein kleiner Baukasten der österreichischen Befindlichkeit. Die kleinen Zuggarnituren, die Triebwagen, Lokomotiven und Güterwaggons, vor allem aber das Zubehör, von den Bahnwärterhäuschen bis zur Dorfkirche, den Brücken, Tunnels und Gartenzäunen, den Bäumen, Autos und Figuren bis hin zu den Hügeln und Bergen spiegeln in gewisser Weise auch die stereotypen kollektiven Vorstellungen dessen, was österreichisch ist. Die "Kleinbahn" entwirft nicht nur ein mobiles Verkehrsmodell im Kleinen, sondern es ist eine Miniaturwelt mit nationalem Anstrich. Die Modelleisenbahn Marke "Kleinbahn" als politische Metapher, als Spiegelbild des kleinen, überschaubaren Österreich? Der Kleinbahn-Katalog bringt den Östereich-Bezug klar und prägnant auf den Punkt: "50 Jahre Kleinbahn. 50 Jahre Qualität. Ein österreichisches Erzeugnis von bleibendem Wert. Ausbaufähig - robust - preisgünstig. Überzeugen Sie sich selbst!"
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Anton Holzer

Quelle: Auszug aus einem Essay, veröffentlicht in Die Presse/Spectrum am 10. Juli 1999