MITGLIEDER

Text von:
Thomas Raab

AN DIESEM TAG IM HERBST

oder im Oktober wird O ihre Freundinnen getroffen haben. O trifft ihre Freundinnen jetzt gerne, denn A und O leben seit kurzem getrennt. O und ihre Freundinnen albern herum. Sie machen sich schon lange nichts mehr aus Männern, ihre Freundinnen. Mann sein, sagt eine von ihnen, ist eine antike Obsession, ein Bündel an Dispositionen für den Hugo, eine Einstellung als Auslaufmodell. O lacht. Ihre Freundinnen gratulieren ihr zur Entscheidung, A verlassen zu haben. Sie sitzen gemeinsam an einem Tisch in einer Bar. Es ist wenig Licht dort und viel Rauch von Zigaretten, vorzugsweise Gauloises Blondes Legères aus roten Packungen. Alle zusammen gratulieren ihr. Man einigt sich und lacht.
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Seltsam sei es doch gewesen, denkt A laut, dieses Gehörthaben zu einer Familie, wo man wie ein Gefangener gelebt hat. Seltsam, ein erwachsener Mensch in fortgeschrittener Lebensphase gewesen zu sein, denkt A laut, und als erwachsener Mensch hingemußt zu haben, zu einer Frau, O, oder zu den Kindern, B und M, in ein dunkles oder nur fahl beleuchtetes Zimmer, wo man die Frau oder die Kinder, O, B, M, nur halb im Dunkel gesehen hat, und sie um Erlaubnis zu fragen, abends ausgehen zu dürfen zur Vernissage oder zur Dichterlesung oder ins Haubenrestaurant eines Bekannten. Deshalb, weil es so seltsam gewesen ist, wie A laut denkt, hatte er lieber nicht gefragt, sondern hatte bereits ein schwarzes Sakko der Marke Armani umgeschnallt und die Wohnungstür hinter sich geschlossen. Machen wir uns nichts vor, denkt A laut, es wird eine gewöhnliche Geschichte der Gewalt gewesen sein.

Quelle: verhalten (TropenVerlag, Köln, 2002)