MITGLIEDER

Text von:
Marianne Jungmaier

Certified Love Transmitters (CLT)

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Bis auf die Muttersprache hat Miro rein gar nichts mit meinem Großvater zu tun. Er ist ehrlich, in dem, was er sagt, hat eine Tiefe in seinem Blick und ein Loch in seinem Herzen. Er sagt, er müsse immer jemanden lieben, weil er nicht wisse, wie lange er leben würde. Ich sage, das fände ich ein wenig übertrieben, in unserem Alter. Aber eigentlich liegt uns das Lieben beiden auf dem Herzen, denn auch mein Herz ist fehlbar.

Die Sache mit der Liebe und den Herzen könnte auch von unseren Müttern herrühren. Miro hat drei und ich eine distanzierte. Ein Ungleichgewicht in jeder Hinsicht. Oder von unseren Vätern, die einander ähnlich sind: wortkarg und unnahbar, ungreifbar in ihren Gefühlen. Unsere Väter haben denselben Beruf gelernt, wie wir in unseren Reiseführern lesen. Man könnte den Grund aber auch woanders als bei den Eltern suchen.
Home is where your heart is, heißt es. Wenn das Herz kaputt ist, ist vielleicht auch das emotionale Zuhause angeknackst. Vielleicht ist es deshalb so wichtig: wir beide, an diesem Ort. Jeder für sich und trotzdem irgendwie zusammengehörend. Sogar die Tuk-Tuk-Fahrer wissen das. Sie fragen mich, wo mein boyfriend ist, wenn ich allein an den Strand gehe.

Miro habe ich mir für diese Zeit in Indien ausgesucht. Ich habe es erst bemerkt, als ich ihn traf. Mit ihm zusammen zu sein ist, als feiere ich Geburtstag. Jeden Tag. Und damit meine ich nicht jene Geburtstage, die man verstreichen lässt wie das Gefühl, wenn einem schwarz vor Augen wird. Ich meine Geburtstage, an denen es petits fours und Birnenschaumwein gibt und von denen man mit einem Geschenk nachhause geht. Miro trägt seines um die Welt, ein schmuddeliges Wollschaf namens Marijuana. Er nennt es meine Tochter.

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(Auszug aus aktuellem Projekt Die Speisekammern von Be’er Sheva (Reiseerzählungen))