MITGLIEDER

Text von:
Lukas Meschik

Auszug aus "Über Wasser"

Nichts wissen, aber auch keinen fragen, sondern so tun, als wüsste man alles. Überhaupt viel mehr so tun, als ob, dachte er. Und aus dem Schutz der Deckenburg heraus sa-hen sie im Fernsehen, dass der Krieg näherkam, wie er das immer tat und immer tun würde. Nicht nur der Krieg kam jetzt näher, sondern die Wände und die Welt. Wie egal alles war, und wie gut das tat. Sie küssten ein bisschen, aber ohne Durst, und ließen es bald wieder sein und lagen wieder nur.
    Niemand konnte ihm nehmen, dass er seine Sinne be-nutzte und seinen Gedanken nachhing und seine Bilder sah und seine Geräusche hörte und sich seine Meinungen bildete. Er dachte, man konnte nicht lernen, frei zu sein, aber ver-lernen konnte man es sehr wohl. Und er staunte durch die Sinne, einen nach dem anderen, jeder ein Wunder für sich. Er sah ein Sehen. Er hörte ein Hören. Er roch ein Riechen. Er schmeckte ein Schmecken. Er fühlte ein Fühlen. Er dach-te ein Denken.
    Sie lagen da wie hingeträumt. Gudrun musterte Noah. Sie kannte ihn nicht, und so würde es bleiben. Sie wollte ihm die Wahrheit sagen, oder wenigstens eine Wahrheit, nur fiel ihr keine ein, nicht einmal die kleinste. Er legte eine Decke über sie und sagte ihr, sie sei da. Und dass er da sei, sagte er auch. So lagen sie und waren da. Sie beide, wie sie so halb auf-, halb nebeneinander lagen, waren ein Mittelpunkt der Welt und wären jedem, der sie gesehen hätte, ein kleines Ereignis gewesen. Die Burg hielt stand. Sie lagen warm und hart und gut. Sie hatten Zeit.