MITGLIEDER

Text von:
Kalle Aldis Laar

Ausschnitt aus aus: Castle Bravo, Heidegger, Godzilla und der ganze Rest


An dieser Stelle ein kurzer Exkurs - zur Rolle eines Mediums, das als historisches Quellenmaterial nach wie vor kaum erschlossen ist, der Schallplatte.

Die schwarze Vinyl-Scheibe der Nachkriegszeit war für einige Dekaden ein modernes Medium. Und als solches wurde es von jedem genutzt, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Jeder, der eine Botschaft welcher Art auch immer verbreiten wollte bediente sich der Schallplatte.

Kunst, Literatur, Werbung, Religion, Politik, zu allen gesellschaftlichen Bereichen finden sich Dokumente, die heutzutage nur unzureichend archiviert und kaum katalogisiert sind.

Bis in die siebziger Jahre hinein vermittelte die Schallplatte mit ihrer Verbindung von Original-Ton und Platten-Cover-Gestaltung ein Gefühl von Wertigkeit und sozusagen auch eine Art von Seriosität. Diese gingen dann mit zunehmender Massen-Pop-Produktion allmählich verloren.

… Linus Pauling dagegen positionierte sich deutlich, wie auf seiner 1960 veröffentlichten Platte „On Fallout and Nuclear Warfare“ nachzuhören ist.  
Als Wissenschaftler genoss Pauling höchstes Ansehen, bereits 1946 trat er dem Emergency Committee of Atomic Scientists unter Vorsitz von Albert Einstein bei. Die US Regierung sah ihn zeitweise geradezu als Staatsfeind, verweigerte ihm z.B. 1952 sogar den Pass für die Ausreise zu einem Kongress nach London. Für seinen Einsatz gegen atomare Aufrüstung und Tests erhielt er 1963 den Friedensnobelpreis.

Aber auch die Regierung der Vereinigten Staaten wollte auf Kommunikation mit Hilfe von Schallplatten nicht verzichten. „If the bomb falls. A recorded guide to survival“ – „Wenn die Bombe fällt. Ein Audio Überlebens-Ratgeber“, erschien 1959, veröffentlicht vom Amerikanischen Verteidigungsministerium, Abteilung Zivilschutz.

Diese extrem seltene Aufnahme verdeutlicht exemplarisch die besondere Rolle, die diesem Medium zu eigen sein konnte. Die Zeit der verniedlichenden, heute vergessenen, bizarr-albernen „Duck and Cover“ Filmchen war vorbei, mit den Ratschlägen, im Falle eines atomaren Angriffs unter dem Schreibtisch Schutz zu suchen, eben sich ducken mit der Aktentasche über dem Kopf.  

„If the bomb falls millions of people are going to die“: hier wird Klartext gesprochen. Aber eben nicht unkontrolliert in eine anonyme Öffentlichkeit hinein, wie bei Radio oder TV. Der Schallplattenhörer wird in seinem eigenen Wohnzimmer sozusagen persönlich angesprochen. Und das nur dann, wenn er sich dafür entscheidet und somit diesen zugegeben einseitigen Dialog einleitet und ihm deshalb vermutlich auch aufmerksam folgt.

Die B-Seite der Platte ist überschrieben mit: „Supplies needed for survival – Was nehme ich mit in den Bunker, wenn es soweit ist“. Habe ich keinen Bunker im Vorgarten meines Suburbia Häuschens kann ich zur beiliegenden Broschüre greifen: „The Family Fallout Shelter“ – oder „wie baue ich meinen eigenen Atombunker“. Hier findet man die komplette Anleitung zum Bunkerbau, gleich neben seinem Eigenheim.

Der Unterschlupf sollte ja nicht nur vor der Bombe schützen, sondern insbesondere vor dem anschließenden Fallout, der Radioaktivität. Damit man für die Zeit des Ausharrens ja nichts Wichtiges vergisst, werden alle überlebenswichtigen und damit wenig überraschenden Dinge aufgezählt, von Batterien über Nahrung und Wasser zum Klopapier.

Gegen Ende jedoch kommt dieser Satz: By all means provide some tranquilizers to ease the strain and monotony of life in a shelter. A bottle of 100 should be adequate for a family of four ...

Also nach einer Woche in beengten Verhältnissen im Bunker kann es schon mal stressig werden mit den Kindern, daher bitte die Großpackung Tranquilizer für die Familie nicht vergessen.

Schwer vorstellbar, dass dies damals etwa im Fernsehen ausgesprochen würde, also von einer identifizierbaren und damit verantwortlichen Person.

Die Schallplatte konnte diesen Konflikt überbrücken.

Und damit niemand auf die Idee kam, etwa die militärische Überlegenheit der Vereinigten Staaten in Frage zu stellen, konnte man sich zu Hause noch die Schallplatte „Sound Effects: U.S. Air Force Firepower – die Feuerkraft der Amerikanischen Luftstreitkräfte“ vorführen. Hier war 1962 alles geboten: vom Sonic Boom, dem Überschallknall des Starfighters über den Ground Bursts eines massiven Napalm Angriffs bis hin zu Nuklearexplosionen. Selbst ein Beispiel der Psychological Warfare, der psychologischen Kriegesführung durfte nicht fehlen.

aus: Castle Bravo, Heidegger, Godzilla und der ganze Rest, Südwest Rundfunk Deutschland SWR 2018