MITGLIEDER

Text von:
Lucas Cejpek

Ich nehme an einer Führung

Ich nehme an einer Führung durch die Baustelle des U2-Anschlusses Praterstern teil, wo ein Aufgangsgebäude und ein Verteilergeschoß unter Straßenniveau entsteht. Eine Seitentür über dem Bahnsteig der U1 wird aufgesperrt, und wir gehen durch eine bemalte Wand – Wir bauen die Stadt von morgen steht über dem Bild einer Baustelle – und befinden uns auf der Baustelle.
Ein Zwischengeschoß, sagt unser Führer. Er trägt eine orange Arbeitsjacke, einen weißen Plastikhelm und Bergschuhe. Weil es draußen in Strömen regnet, erfolgt die Führung ohne Helme, also nur in Bereiche, die gesichert sind.
Am Ende des Verbindungsgangs fällt Regen auf Drahtgitter und -gestänge, Werkbänke und anderes Werkzeug. Die Kinder probieren das Echo aus.
Der Weg zum Zimmer, wo alle Wünsche in Erfüllung gehen, führt in Andrej Tarkowskis Stalker auch durch einen Tunnel, in den Licht und Wasser rinnt, bis der Schriftsteller vor einer Tür steht: Hinter der Tür ist Wasser, und wenn man durch das Wasser gewatet ist, geht es weiter durch Sand, und immer in einem geschlossenen Raum.
Wir waten durch Pfützen, immer wieder weisen uns Bretter den Weg. Das Grundwasser haben wir im Griff, sagt der Führer, aber nicht das Wasser, das von oben kommt.
Horizontale Brunnen, damit das Grundwasser fließen kann. Der Grundwasserausgleich geht von allein.
Es dringt immer noch Wasser ein, aber das wird schon.
Stalker beginnt mit einer Kamerafahrt durch eine Flügeltür in ein Schlafzimmer und zu einem Nachttisch, auf dem ein volles Wasserglas steht, das durch einen vorbeifahrenden Zug – das anschwellende Geräusch ist deutlich zu hören – in Bewegung gerät.
Das filmische Bild, schreibt Tarkowski in seinem Arbeitsjournal Die versiegelte Zeit, wird vom Rhythmus beherrscht, der den Zeitfluß innerhalb einer Einstellung wiedergibt.

Ein Text kann nur aus einem einzigen Satz bestehen.

Dichte Satzfolge.


Quelle: Dichte Zugfolge, Edition Korrespondenzen, Wien 2006