MITGLIEDER

Text von:
Karoline Cvancara

Ein kurz aufflackernder Gedanke

Ein kurz aufflackernder Gedanke, ich könnte es einfach wieder tun. Die Sehnsucht in mir wird enorm und die Vorfreude grenzenlos. Aber nein, das darf doch jetzt nicht wahr sein! Ich kann nicht schon wieder schwach werden! Das macht mich fertig, wirklich fertig, dabei hätte ich gedacht, dass es mich glücklich macht, dass ich ein Ventil für alles in mir gefunden hätte, etwas das mich erfüllt und meinem Leben einen Sinn gibt. Stattdessen wird die Emotion in mir enorm, der Druck immer größer, der von innen nach außen strömt, verliere ich meine Selbstsicherheit, verliere ich meine Zufriedenheit, verliere ich die Kontrolle. Und es gibt nichts Erschreckenderes für mich, als die Kontrolle zu verlieren. Ich verliere sie auch nicht. Ich habe eine schlechte Phase, das ist alles. Ich hänge nur irgendwie fest, muss hindurch, etwas Abstand gewinnen, mich wieder in die Hand bekommen und ich weiß auch, wie mir das gelingen kann, ich muss wieder schlafen, endgültig, jetzt, heute, auf der Stelle. Wie soll das sonst weitergehen?
Ich drehe den Fernseher ab. Sitze etwas unschlüssig auf der Bank, dann drehe ich auch das Licht ab und setze mich wieder zurück aufs Sofa, sitze da im Dunklen und meine Gedanken rasen. Ich möchte es tun, spüre es deutlich in meinem Innersten, dass ich es tun muss, dass es keinen Aufschub mehr duldet und gleichzeitig weiß ich auch genau, dass ich es nicht tun sollte. Nein, ich sollte es nicht tun, ich darf es nicht schon wieder tun, ich muss, soll schlafen. Aber diese Unruhe, diese große Unruhe! Sie fühlt sich nicht negativ an, meine Unruhe, nein, es ist etwas Positives, etwas Großes, etwas das mich bewegt und ich mag diese Unruhe, habe sie zu schätzen, sogar zu genießen gelernt, aber gleichzeitig, gleichzeitig fühlt sie sich auch so negativ an. Negativ, weil sie mir keine Pause gönnt, weil sie mich komplett in Beschlag nimmt, weil ich nicht wirklich weiß, wohin es führen soll. Ja, wohin soll mich dies alles führen? In die große Ungewissheit. Das macht mir Angst und dann aber auch wieder nicht. Ungewissheit, kann das nicht auch gut sein? Dachte ich nicht bisher immer, meine Zukunft sei gewiss und läge in meiner Hand und dem war und ist im Grunde überhaupt nicht so? Was ist denn an Ungewissheit so schlecht? Trotzdem denke ich, dass es wahrscheinlich meine dümmste Idee überhaupt war, etwas zu tun, von dem man normalerweise nur träumt. Träume zu leben, Leidenschaften zu verwirklichen, das bringt nur Unruhe und stellt mein Leben auf den Kopf.
Ich weiß nicht woher es kommt und ich weiß nicht, wohin es mich führt. An einem Tag hat es mich erfasst und seither lässt es mich nicht mehr los. Einer Urgewalt gleich fährt es durch mich hindurch, erfasst es mich, durchdringt es mich und ja doch, erfüllt es mich. Es ist das Beste und Schönste, was mir bisher widerfahren ist, das spüre ich deutlich in jeder Minute, in welcher ich an meinem Laptop sitze und Worte in den Computer tippe. Worte, so leicht, Worte, so voll, Worte die sich zusammenfügen, Worte aus meinem tiefsten Inneren, Worte aus einer anderen Welt, aus meiner Welt, Worte, die ich hinstelle und dann wieder lösche, Worte, die zu einer Geschichte werden, in welcher ich mehr lebe als in dieser anderen Welt, welche man Realität nennt.


Quelle: Ausschnitt aus „Schlaflos“, 2006, VIZA-Edit