MITGLIEDER

Text von:
Jürgen Lagger

Die Geschichte vom Lastkran, der eine Schiffssirene sein wollte

So also trennt man den Rumpf vom Unterleib mit glattem Schnitt und pfropft den blutigen Stumpf druckgewaltig auf nasskaltglatten Beton: stützt den Schwerpunktberaubten bis verdicktes Blut, schwarzrot Geronnenes den Torso schließlich in Waage hält: ein Arm bleibt schräg nach oben gerichtet, himmelwärts der Gruß, und letztlich doch nur hilflose Geste. Man zieht die Außenhaut nach unten, überdehnt mit Fasern die Wunde, verbirgt/ vertuscht das Geschlecht, das nicht mehr vorhandene/ abgetrennte, verdeckt werden schwere Bolzen knallhart durch Zittergewebe/ splitternde Knochen geschossen, damit jene dauerhaft am Untergrund verhaftet bleiben, wenn später die Zeitfetzen fallen/ den Verhüllungen die Haut sprödrissig wird/ platzt, an den dünnsten Stellen zuerst: am Hals, den Armbeugen, unter den Achseln: von dort patzt mürbes Fleisch matschigweich auf den Beton: Nase/ Augen/ ganzer Kopf nur lose befestigt samt Ohrmuscheln ins Meer: Fischfraß begründet dauernden Hass zwischen kopflosem Skelett bleibt Sehnsuchtsfleisch als unsichtbarer Ballast an den stahlgrauen Knochen.

Weshalb Molen einsamkeitsmagnetisch sind.
Und das Meer rundum bleiig, da entstehen keine Verbindungen. Fade schwappen beide aneinander über.
Zufällig entstandene Pfützen sind von rußigfetter Schicht überzogen, da wie dort. Ergibt fischschuppigen Glanz im Sonnenlicht/ nasse Augen ohne Wimpern.

Wirft dann die Einsamkeit den Molenmagneten an, so bleiben manche Schiffe eine Weile daran kleben.
Spucken Menschen aus lackiertem Metall.
Seemänner haben keine Flossenunterleibe, zappeln also nicht an Land. Schwanken höchstens ein wenig, auf unruhigem Boden.

Nächtens sind die Schiffe stumm.
Matrosen vögeln den Huren nach und möchten dabei an allerlei Warmes glauben. Egal, wie kalt ihnen der Wind in die offenstehenden Hosen bläst. Sie dehnen kunsthandwerklich die Zeit, es entsteht eine halbwegs sichere Blase, bis zum Ablegesignal.

Quelle: Literaturzeitschrift Fidibus (noch nicht erschienen)