MITGLIEDER

Text von:
Helmut Rizy

Um mich kurz zu fassen

Um mich kurz zu fassen: Er suchte jemanden, der ihn Tag und Nacht mit gezücktem Heft und gespitztem Bleistift begleiten sollte, um jeden Einfall, der ihm über die Lippen käme, stehenden Fußes zu notieren, damit dieser nicht für alle Zeiten verloren ginge. Daß im Lauf der Zeit aus dem "Sekretär" mit einer - wie mir damals schien - durchaus interessanten Aufgabe noch zusätzlich ein Beichtiger, Kindermädchen und notgedrungen ein Saufkumpan werden sollte, war bei jenem Gespräch noch nicht abzusehen gewesen.
Ja, und ich war schließlich auch Redakteur - oder Lektor, wenn man will - seines Arbeitsjournals. Das mag ein wenig hochtrabend klingen. Falls ich aber, vor allem in den letzten Monaten unseres Zusammenseins, tatsächlich alles so aufgeschrieben hätte, wie es aus seinem Mund gekommen ist - gekrächzt, geflucht, gelallt, gestammelt - und nicht wenigstens versucht hätte, aus dem Gesagten den eigentlichen Gedanken, die möglicherweise beabsichtigte Formulierung herauszuschälen, dann ginge dieses hier vorliegende Arbeitsjournal zunehmend in ein unverständliches Konglomerat einzelner Sätze, durchsetzt von unzusammenhängenden Worten sowie gerülpsten Konsonanten und Vokalen über.


Quelle: Andreas Kiesewetters Arbeitsjournal, Bibliothek der Provinz, Weitra 2001