MITGLIEDER

Text von:
Bettina Gärtner

Textprobe

(… ) Die Art, wie sich die Leute hier begrüßen, verwirrt mich immer noch. Freundinnen etwa küssen sich auf die Wangen, berühren sich sonst aber nicht. Norma küsst sogar ihren Friseur. Ich will den Friseur, der auch meiner ist, zwar nicht küssen, habe aber keine Wahl. Entweder ich küsse ihn oder ich suche mir einen neuen, und die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderer Friseur mich nach kurzer Zeit ebenfalls zu küssen anfängt, ist hoch, so wie die Dinge hier in der Gegend stehen, daher lasse ich alles, wie es ist. Auch Freunde küssen sich oft, wenngleich nur in privatem Rahmen, es kann also sein, dass sie sich auf einer Gesellschaft küssend und am Konferenztisch mit Handschlag begrüßen. Inländische Geschäftsleute küssen sich im Geschäftsalltag somit halbwegs verlässlich nicht. Unsere Geschäftsfreunde kommen aber aus Georgien und küssen. Und zwar jeden immer, sie küssen meinen Mann am Konferenztisch, im Restaurant und zuhause, sie küssen mich und unsere Tochter. Einmal hat einer sogar den Hund geküsst. (…)

Aus: UNTER SCHAFEN, Roman, Februar 2015, Verlag Müry Salzmann (Salzburg)