MITGLIEDER

Text von:
David Fuchs

Wasser

Das Flugzeug hat zum Glück mehr Verspätung als Aziz. Er kommt zum Gate gelaufen, in der Hand einen doppelten Whiskey im Pappbecher. Den brauche ich jetzt, sagt er, trinkt und wirft den Becher weg, das ist die letzte Gelegenheit für zwei Wochen.

Wir steigen als letzte ein. Auf dem Sitz neben meinem schläft ein Mann mit einem nässenden Ausschlag auf der Stirn. Ich bin froh, dass Aziz mir den Fensterplatz anbietet. Wir setzen uns hin und verstauen das Gepäck. Ich will nicht reden und denke, hoffentlich redet er nicht den ganzen Flug. Ich bestelle bei der Stewardess einen Kaffee, und sie sagt, das ist beim Starten nicht möglich.

Eine ganze Flasche Whiskey sollte man mitnehmen in das Scheißland, sagt Aziz laut und auf Englisch. Ich sehe mich um, aber niemand nimmt von uns Notiz.
Wenn Aziz spricht, bewegt er nur seinen Mund. Die Hände, die Wangen, die Augenbrauen, alles bleibt still. Ich arbeite jetzt in Schottland, sagt er und ich sage, nicht mehr in Birmingham? Glasgow sagt er, europäische Hauptstadt der Messerstechereien. Ich habe es auch nicht geglaubt, sagt er, aber erster Wochenenddienst: Acht Bäuche in achtundvierzig Stunden.
Also immer noch in der Notaufnahme, sage ich und er sagt nein, Bauchchirurgie, aber im Frühling versetzen sie mich zu den Brüsten nach Nottingham. Ist das besser, frage ich und er sagt, das ist Scheisse.

Es ist nach Mitternacht, als wir in Khartum landen. Auf der Wiese vor dem Flughafen schlafen Menschen und am Rand des Parkplatzes liegt ein totes Maultier. Daneben steht unser Bus. Die Schiebetüren sind innen kalt von der Klimaanlage. Der Fahrer lädt unsere Sachen ein, gibt jedem eine Flasche Mineralwasser und eine SIM-Karte und wir fahren los. Die SIM-Karte passt nicht in mein Telefon. Aziz redet mit dem Fahrer, und sagt, er wird sie morgen gleich zuschneiden lassen und der Fahrer gibt mir inzwischen ein altes Nexus.

Aziz habe ich bisher erst einmal gesehen, auf der Hochzeit seiner Schwester im August. Sein Vater hat uns auf denselben Flug gebucht.
Eid ist in vier Tagen, das Opferfest, und man bietet am Straßenrand Schafe an. An den roten Ampeln gehen die Männer zwischen den Autos herum und verkaufen die Äxte dazu. Wir wollen an den Stadtrand, zur Farm von Aziz' Onkel, wo wir die Nacht verbringen sollen.

Entlang der Straße in der Innenstadt zieht sich eine gelbe Mauer. Was ist hinter der Mauer, frage ich und Aziz sagt, die Kaserne. Vor zehn Jahren, sagt er, wurden die Namen der Gefallenen aus dem Bürgerkrieg auf Messingschildern an der Mauer befestigt. Aber irgendwann waren es zu viele Schilder, es gab Unruhe und sie wurden entfernt.

Der Fahrer hält ein gutes Tempo und die Gebäude werden spärlicher. Die Gehsteige enden manchmal einfach in einem Haufen Pflastersteinen und fangen beim nächsten Gebäude wieder an.

Ich versuche, auf dem Handy WhatsApp zu installieren. Keine Chance. Ich sage, Aziz, warum funktioniert das nicht, ich bekomme keine Verbindung. Keinn App Store, kein iTunes, kein Google Play, sagt er und streckt die Faust in die Luft, willkommen auf der Achse des Bösen.

Was machst du eigentlich in Khartum, fragt Aziz und sieht gleich wieder aus dem Fenster. Ich bin beruflich hier, sage ich, Kunden treffen, Freunde deines Vaters aus Jedda, die vielleicht unser Produkt kaufen wollen. Welches Produkt, fragt er und ich sage, Wasser.
Wasser, fragt er, du verkaufst Wasser und ich sage, Wasser mit Nanopartikeln.

Der Bus wird langsamer. Aziz geht nach vorne und redet mit dem Fahrer auf arabisch. Er kommt zurück und sagt, wir müssen stehenbleiben, Polizei. Ich sinke in meinen Sitz. Unsere Pässe haben wir einem Mitarbeiter von Aziz’ Vater gegeben, der für uns einreisen und die sudanesische Bürokratie erledigen soll.

Wir halten auf einem Parkplatz. Dort stehen zwei Polizeiautos und ein kleiner Lieferwagen. Ein Polizist kommt zum Bus und spricht mit dem Fahrer.
Aziz kratzt sich am Knie. Nur ein bisschen Bürokratie, sagt er, keine Sorge.

Der Fahrer steigt aus und geht mit dem Polizisten zu dem Lieferwagen. Sie sprechen, zuerst leise, dann werden sie lauter und werfen die Hände in die Luft. Aziz winkt. Der Fahrer lässt von dem Polizisten ab. Er macht einen Schritt zurück und will sich umdrehen. Der Polizist holt aus und schlägt ihm mit der Faust ins Gesicht.
Der Fahrer geht zu Boden. Der Polizist nimmt er eine große Taschenlampe vom Gürtel und lässt sie auf den Fahrer niederfahren. Der Fahrer zittert. Er liegt mit dem Gesicht im Sand, und wenn er japst, bläst er kleine Wolken über den Boden.

Der Polizist kommt auf uns zu. Aziz greift in die Taschen seiner Jellabia und holt ein Bündel Geldscheine hervor. Es ist dick und mit einem Gummiring zusammengebunden. Der Polizist nimmt es und steckt die Taschenlampe wieder in den Gürtel.
Aziz steigt aus, zerrt den Fahrer auf die Beine und in den Bus. Der Fahrer macht beim Ausatmen ein pfeifendes Geräusch und hält sich am Lenkrad fest. Er sieht sich zu Aziz um, der nickt und wir fahren weiter.

Was verkaufst du nochmal, fragt Aziz.
Nanopartikel in Wasser, sage ich, für Sprinkleranlagen und Wasserwerfer. Eindeutig erkennbar. Da weiß man immer, wer wo war und wann, aus Haaren und Haut kriegt man das nie wieder raus.