MITGLIEDER

Text von:
Lydia Mischkuling

GEMEINPLATZ

Naturkatastrophen besagen, daß die Natur zu bekämpfen ist. Liegt ein dickbäuchiger Mensch am Strand zwischen angespülten Wasserleichen, ist das menschliche Natur. Winterliche Paradiessucher wedeln über die weiße Sintflut. Das ist auch Natur. Ich bilde Sätze, vielleicht menschliche. Von den letzten Dingen stell ich mir anmaßenderweise vor, sie im kleinen Finger zu haben, denn ich wundere mich schon relativ lang über die Unfähigkeit, zu kapieren, daß der Tod nicht zu beseitigen ist, jedoch zu instrumentalisieren war und ist. In den Bergen tobt eine Art Welle für Leute mit Geldmassen in Schneemassen. Niemand fragt woher die Gogos kommen und niemand fragt nach der Geldquelle. Illuminierte Banditen vögeln Bioware. Das ist ein Tröpfchen Katastrophenmix. Was wird denn danach kommen? Ein Brand, ein Erdrutsch. Um das Geld in Richtung Solidarität zu kanalisieren, gegen ein Disziplinarregelwerk, gegen die Natur, gegen den Neid, gegen den Verrat? Dauernd fängt das Böse an zu wuchern, außen rum, oder in meinen Nebenmenschen drin, oder in mir. Wer weiß, wie ich redete, würde in der Welt etwas erscheinen, woran ich glauben muß - mein Werk. Da würde ich mich verlieben. Die Verliebtheit ist die schönste Form der Psychose. Und wenn ich sie verlier, weil ich durchs Schreiben gesunde? Ich verliebte mich in die Tat. Das Schreiben selber. Es ist so gut gegangen zwischen uns, und nun sitz ich im Gebirge und schau auf eine herabtanzende, auf meiner Hand sogleich schmelzende, Schneeflocke. Ich möchte sie malen, aber mein Gehirn gibt den Händen die falsche Bewegung, übersetzt, was ich sehe, nicht in die Hand, sondern in den Mund. Mir kommt sogar vor, daß das Gehirn sich gar nicht das Bild anschaut, das mein Auge gemacht hat – mein Auge ist nur als Nachschauorgan verwendbar, die vorgefertigten Urteile bestätigend, die mein Mund aussagen soll. Anders ausgedrückt sagt mein Blick:  Her mit den Indizien. Was ich sehe, bevor ich es sehe, will ich mal sehen - nicht dauernd die Erhärtung meines Verdachts auf der Zunge zergehen lassen, das ist paradox. Die Wirklichkeit ist physisch, sozial und atheistisch und alles ist atheistisch und trotzdem gibt es die Gottlosigkeit. Ist das falsch? Das Schreiben ist der Verwirklichungsversuch einer menschenfresserlosen Welt - ich kann ruhig sagen, mich täte es freuen, weltverbesserisch tätig gewesen zu sein, dann säße ich auf meinem Wolkerl und blickte wohlwollend hinunter auf die Welt der guten Vorsätze.