MITGLIEDER

Text von:
Margarita Kinstner

Nazitomaten

Seitdem ich in Kärnten wohne, habe ich sehr nette Nachbarn. Unser unterer Nachbar etwa versorgt uns mit Tomaten. Wir treffen ihn, wenn wir vom Einkaufen kommen. Dann werden wir in seinen Garten gebeten und dürfen uns den neuesten Witz anhören.
»Hab ich euch den schon erzählt?«
Danach wird zur Tagespolitik gewechselt. Weswegen sich die Leute so über den Putin aufregen, will er wissen. »Wegen dem Putin machen sie ein G’schrei, aber darüber, wie viel dem Land die Wiener Asylpolitik kostet, wird nicht geredet.«
Wir stehen betreten da.
Darf man dem Nachbarn, der einem gerade Tomaten aus dem eigenen Garten in die Hand gedrückt hat, widersprechen?
Ja. Darf man. Muss man sogar.
Ich will aber nicht mehr.
Vielleicht sollte ich mir meine Gehörgänge mit Weinbergschnecken verstopfen.

Der Nachbar erzählt uns vom Wein. Aus dem Kamptal beziehe er den seinen, sagt er, jedes Jahr hundert Liter. So gut sei der.
Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, auf seinem Kopf sitzt der Strohhut.
»Hab ich euch den schon erzählt?«
Jetzt geht’s gegen die Blondinen. Dass ich selbst blond bin, scheint ihn nicht zu stören.
Zwanzig Minuten lang trete ich von einem Fuß auf den anderen.
Höre Worte wie »Türkenkrüppel« und »Afghanengsindel«.
Ich halte meinen Mund, mein Mann hält den seinen ebenfalls.
»Mit zwanzig war ich nicht so feige, da habe ich noch widersprochen«, sagt mein Mann auf dem Heimweg.
Waren wir früher mutiger? Nein. Wir waren nur nicht so desillusioniert.

»Die musst du gut waschen«, sagt mein Mann, »auf denen klebt Nazischweiß.«
Ich stehe an der Abwasch. Wir lachen, die Tomatensorte ist tatsächlich braun.
Keine Frage, das Nachbars Tomaten schmecken besser als die vom Penny.

Nach dem Essen setze ich mich an den Laptop und lege die Worte unseres Nachbarn in den Mund meiner Nebenfigur. Mein Protagonist schweigt und trinkt Tee.
Als ich aus meinem Roman auftauche, stelle ich fest, dass mein Mann angerufen hat.
»Wolltest du etwas Bestimmtes?«, frage ich.
Nein. Er habe sich bloß nicht auf seine Arbeit konzentrieren können. Wegen des Nazis. Oder nein, nicht wegen des Nazis, sondern wegen seiner eigenen Feigheit.
Anders als mein Mann, der unseren Nachbarn weder in seinem Kopf noch auf seiner Leinwand haben möchte, komme ich in meinem Text nicht um ihn herum.
In Zukunft werden wir unsere Tomaten wieder beim Penny kaufen. Wir werden beim Einkaufen oben rum gehen, um nicht am Zaun des Nachbarn vorbei zu müssen. Soll er seinen Wein aus dem Kamptal doch mit anderen trinken.

(Krumpendorf 2018)