MITGLIEDER

Text von:
Constanze Dennig

1. Kapitel

1. Kapitel

Mitleid mit den Alten hat nur, wer selber alt ist. Ich tue mir Leid, nur das nützt mir nichts, denn ich habe keine Möglichkeiten mehr, mir mein Leben jetzt noch zu verbessern.
Die, die das könnte, steht ungeduldig, seufzt und wartet, dass die Aufnahmeformalitäten, welche sie endgültig von mir befreien, abgewickelt werden.
„Geburtsdatum?“ „2.2.56“. Meine Tochter macht mich um ein Jahr jünger. Ich korrigiere sie nicht, wozu? 55 oder 56, das spielt keine Rolle mehr. Mich fragt sowieso niemand, obwohl, reden könnte ich noch, wenn jemand merken würde, dass ich da bin. Für die bin ich aber nicht da, weil ich eben alt bin.
„Jetzt werden wir einen schönes Bettchen für die Oma richten und dann nach einem schönen Süppchen wird die Omi wunderbar schlafen, gell?“
Aha, mit der Oma hat sie mich gemeint. So schnell bekommt man Enkelkinder! Das ist selbst meiner Tochter zu viel.
„Sie ist noch nicht dement, wenn Sie wissen, was ich meine.“
Gut, soll sie ruhig ein bisschen ein schlechtes Gewissen haben.
„Sie war Universitätsprofessorin, Biochemikerin, früher.“
Die Pflegerin packt mich in einen Rollstuhl und dreht mich damit in Richtung meiner Tochter.
„So jetzt darf die Frau Professor noch gute Nacht sagen und dann ab ins Bett.“
Meine Tochter küsst mich auf beide Wangen, so wie man eben küsst, wenn man muss.
„Ich besuche dich sobald ich kann, du weißt ja, wenn du was brauchst, dann melde dich.“
Wie soll ich mich melden? Vielleicht per E-Mail mittels Krücke, oder mit dem Leibstuhl telefonieren?
Sonja hat Recht, ich hätte es auch so wie sie gemacht. Sie hat sich mich nicht ausgesucht, ich habe sie geboren. So hinfällig, wie ich jetzt bin, schade ich ihrer Karriere, und es wäre mir auch gar nicht recht, wenn sie mein Lebenswerk nicht fortsetzen könnte. Sie hat mein volles Verständnis, trotzdem hasse ich sie. Ich hasse sie, weil sie so ist, wie ich vor fünfundvierzig Jahren war, und ich so bin, wie sie in fünfundvierzig Jahren sein wird, verbraucht, verlangsamt, gehbehindert, inkontinent.
Sonja dreht sich noch um, als sie das Aufnahmezimmer verlässt. Ich hebe noch meine Hand, müde, aber einen Versuch ist es wert. Dann ist sie weg.
Die schreckliche Person bringt mich ins Zimmer. Dort ist es so, wie sich jemand Junger vorstellt, dass es alte Leute gerne haben, also mit Seidenblumengesteck am Nachtkästchen, mit Krankenbett, welches sich in alle Positionen verstellen lässt, wenn man die Fernbedienung kapiert, einem hygienischen Kunststoffboden, grau, einem Lehnsessel, der vor dem Fernseher steht. In diesen werde ich verfrachtet, jedenfalls solange, bis die Schreckschraube das Bad eingelassen hat.
Mir war der körperliche Kontakt zu fremden Leuten schon immer zuwider, vor allem der nicht gewollte. Jetzt werde ich genügend Gelegenheit haben zu lernen, mich zu beherrschen, wenn mir ungeliebte Domestiken den Hintern waschen, mir die Haare beim Frisieren ausreißen, mich in ein zu heißes oder zu kaltes Badewasser setzen und mir vor allem immer und immer wieder zu nahe kommen.
„Jetzt nimmt die Oma ein schönes Bad, da werden wir uns freuen.“
Ich tue nicht einmal so, als ob ich mich freuen würde, ich helfe mir, indem ich sie mit Verachtung strafe. Natürlich glaubt sie, ich bin schon so hinüber, dass ich nicht verstehe, was sie sagt. Soll sie, ich will es ihr nicht leichter machen, immerhin zahle ich das Heim und damit ihr Gehalt.

Quelle: KLONKÜSSE Po@Co Edition, Hörbuch, Verlag der Apfel