MITGLIEDER

Text von:
Eva Scala

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Weiter oben am Strand liegen sie dicht an dicht, kein handtuchbreit Platz im gesprenkelten Schatten der Tamarisken. Eine Kugel Erdbeereis zerrinnt auf der Betonbarriere, ein Faden hat fast die Kante des Wassers erreicht, wo bereits die Tüte schwimmt. An der Häuserzeile entlang zieht die Sonne Licht und Schatten mit dem Lineal, nicht einmal die Tücher am Verkaufsständer bewegen sich. Die Beine hochgelegt, die Serviette über der Schulter, den Kopf eingezogen hält der Kellner still. Vom Wasser her schwappen Kinderschreie und Platschen herüber. Beim Überqueren der Strasse fühlt sich der Asphalt weich an.
Weiter oben in den ausgebeinten Dörfern wird es ruhig. Am Abend erst werden einige versprengte Urlauber hier durch die grauen Gassen ziehen und drei alte Frauen die Bank vor der Kirche besetzen. In einem Garten fallen Kaskaden gelber Rosen von der Mauer. Ein Fensterladen hängt lose im Gewirr der Steine, der rostige Nagel - ein Farbtupfer im Vorübergehen.
Weiter oben in den Ölbaumhainen bist du allein, das Gras wächst hoch in den Mulden, die das Vieh ausgestampft hat. Du suchst Tritte beim Gehen. Das Licht fällt als Knochensplitter auf deine Hände. Die Zikaden begleiten dich, geschmiegt in den Schorf der Rinden, versteckt im Gewirr der Silberblätter. Das Sirren dringt in dich ein, schaltet die Gedanken aus, macht dich durchlässig und matt.
Weiter oben wird es steinig, die Ölbäume verkommen zu Büschen, durchwachsen von Gestrüpp, das die Schlangenspur des Pfades einengt. Der Himmel kommt auf Augenhöhe herunter, ein kräftiges Blau. Dein Schatten geht dir voran. Es ist still geworden, ein wenig singt der Wind oder irrst du dich? Der schwarze Vogel schlägt Kapriolen in der Luft, du bleibst stehen, da lässt er sich plötzlich über den Horizont fallen.
Weiter oben verläuft sich der Pfad in viele kleine Ziegensteige, die in Adern die Hänge überziehen. Es muss hier wohl Tiere geben. Ein Steinschlag, du bleibst angepfählt stehen und hörst nur das Sausen des Blutes in den Ohren. Es geht steil bergan. Wirst du ausrutschen auf den blanken Steinen, den polierten Kindertotenköpfchen, liegen bleiben und verdursten? Was für ein Geräusch? Es ist nur die Wasserflasche, die in deinem Rucksack gluckert, wirf sie weg, werde leichter. Der Himmel erreicht deine Hüften, er schwingt vom Blau ins Violett, die Sonne, wo ist sie geblieben?
Weiter oben gehst du durch schwefelgelbes Geröll, leicht und porös, du sinkst ein wenig darin ein. Es ist so kalt wie nie zuvor, deine Gelenke werden schon steif. Der Himmel umspannt dich schwarz bis zu den Knöcheln und du schaust gebannt auf die riesengroße Feenkugel vor dir im All. Weiße Schlieren schlingen sich um einen blauen Leib. Sehnsucht lässt deine Brust aufspringen, die Kälte dringt ein und wird sie sehr schnell auslöschen.