MITGLIEDER
Text von:Ines Oppitz
Urfeld oilpainted
Beginn.
Für Werner Heisenberg und Peter I. Tschaikowsky
1.
Komm über den Berg.
Komm an den See.
Eine Biegung. Ein Boot. Ein Turm.
Links eine starke Strömung zum Kraftwerk hin.
Ein Brunnen. Ein Dorf. Das Dorf, der Brunnen, der Fluß. Das Rudern gegen den Strom. Das verzweifelte Schöpfen des Wassers zurück in den Fluß. Schwarze Gedanken, wenn Pech in den Fluß fällt. Aber oft schauen die Sterne zum Himmel zurück. Ein Fluß. Ein Brunnen. Die Stadt. Lied, Fantasie, ein Sturm. Sich selbst anschlagen in tobender Tonmacht.
2.
Die Stille im Bild. Immer das Bild. Die Stille.
Die Dauer im Bild. Das Verweilen. Nicht ohne Regung das Bild, nur angehalten. Spürbar. Angehalten die Bewegung der Luft, das Strömen über den See zu Füßen der Balustrade. Das Wehen durch die Tannenbäume, das Laub, angehalten das Licht, wie es Platz nimmt auf der Brüstung, auf den ausgeschabten Steininseln im Gras, wie es sich einsaugt ins Mauerwerk, Schneehelle vortäuscht im Sommer, wie es sich wolkig verhüllt und nistet wie Glas, blau, zerfahren und weiß. Wie es das Tischtuch zum Leuchten bringt. Eine Steinbank hinter dem Tisch, ein Stuhl. Gebannter Mückentanz, Atempause. Synkope. Beginnt in einem anderen Takt. Der zufällt. Einbricht. Das Gleichmaß zerstört, aufschreit. Die Querungen in einem Gesicht. Ein Schrei, der seine Grenzen nicht finden mag.
Komm an den Tisch.
Steh auf wie der Morgen. Jeder Morgen,
Als hätte es nie einen Morgen davor gegeben.
Und davor nie.
Von hier aus ist alles zu sagen.
Aus dem Rahmen gerückt.
Eine Stimme. Im Kopf des Turms. Und nie ohne den Fluß.
Und die Zwillingseiche, sich gabelnder Stamm von unten her.
Sehr bald die Trennung über der Erde. Aus einer Wurzel zwei Stämme. Zwei Baumkronen weit in den Himmel hinaus. Gemeinsam so lange, bis sie einander nicht mehr kannten.
Vom Deich her verwischen unausgesetzt die Erinnerungen. Übereinander gespielt, ineinander geschoben, verschliffen, ausgerollt und wieder verschränkt. Unscharf. Vor Dunkelheit weiß.
3.
Die Geschichte auf der anderen Seite. Nie ohne den Fluß. Der durch den Berg bricht. Flußüber. Komm. Von hier aus sind alle Briefe zu schreiben. Am steinernen Tisch. In regloser Stille. Gebannt in das Bild. Der Ort hier. Eingewachsen. Einander Bild. So unauffällig nach außen, so unbemerkt. Werde dir nie wieder schreiben können ..... Von hier aus überallhin.
4.
Asymptote du ich. Untersagte Berührung. Lag näher als heute. Als jetzt im Niemehr. Wieder. Wände Räume Versteck. Eine Stadt in der Geschichte. Am anderen Ufer des Flusses. Im Herausfahren aus dem Tunnel der Metro schiebt sich jedesmal ein Dreieck im Himmel frei. Aber: eine Stadt versteht sich nicht von selbst. Oft tritt auf ohne Voraussicht: ein verschmitzter Augenblick. Ein vielfarbiger Ton. Eine laszive Bewegung. Und schon steht eine Stadt nicht mehr fest. Fegt der Sturm die Geradlinigkeit um. Wirbelt sie durch den Wind. Ein Dach weht ums andere.
Im Stadtpark fiel ein Haus in seine Baugrube zurück, trat eine Krise los. Straßen schießen einander Schilder zu, drängen einander Übersetzungen auf. Warum eine Sackgasse viereckig endet. Überall in der Stadt, schreibt der Dichter, sind Straßen. Nicht nur in New York unterschreiben sie mit unbeständigen Namen. Oft sind Flecken darauf. Oft liegt eine Stadt zwischen zwei Flüssen. Oft bildet sie so eine Halbinsel, wenn sie in der Flußgabelung liegt. Oft steht ein schloßähnliches Gebäude an der Ausfallstraße hinter dem Friedhof. Ein Fluß aber immer. Immer der Fluß. Komm. Flußüber. Stadt und Fluß in der Geschichte. Im Lidschlag wechselt der Ort. Weicht zurück hinter Auwiese und Strauch. Verrät sich durch tausend Gerüche, durch Dunst seinen Fluß. Manchmal liegt eine Strömung im Wind. In einer Stadt können Fremde nicht Freunde sein ....
Die Stadt ist Stadt in alle Richtungen und wieder zurück. Voll von Ursachen und Stürzen. Katzenbuckel, Wackelsteine, Furchen, vertrocknete Rinnsale und Gräben. So breit die Gräben, dass keine Schrittspanne darüber reicht. Dafür ungleiche Fallhöhe. Und immer Platz für die Körper. Diese Gräben machen ihre Städte berühmt und die Brücken darüber. Sie werden gezählt und als Zahl in die Stadtgeschichte eingetragen. So auch die Türme. Unserer Stadt in unserer Geschichte. Wenden sich wieder hinaus. Eine Stadt läßt sich auswendig lernen. Eine Stadt kann eine Memorabilie sein. Ein Memorandum.
5.
Eine Hasel blüht. Selten allein. Du niest in den Schnee. Der Fluß zerteilt die Stadt und das Leben. Die ausgelegten Leiber.
Ein Bild von Ihnen, schreibt sie. Ich habe schon zwei, aber eines wünsche ich mir aus Ihren Händen. Von Ihnen zu mir. Ihre Musik. Der Sturm. Ein Rausch. Wie im Fieber. So muß ein Mensch sein, schreibt sie. Wie Ihre Musik. Und eins müssen sie sein, Mensch und Musik.
Über den Fluß. Fliegen vielleicht. Über die Arme hinweg sich dehnen. Hinausstrecken über den Fluß. Nicht straucheln. Im Flug.
Stöberndes Schneerauschen. Hintergrundstrahlung und Nacht. Ein Brunnen und dahinter kein Tor. Eine Bassena im Haus und noch eine und in vielen Häusern, die ihre Geburtsplankette tragen. Ein Öhr zwischen den Häusern in einem verbindenden Mauerstück. Ein Öhr, ein zweites, ein schmaler Blick frei auf den Fluß. Immer der Fluß. Jemand ruft. Er schnellt seine Arme hoch, die Beine gegrätscht, steht er und breitet die Arme aus über den Kopf, starr und steif überdehnt seine Finger. Er ruft und steht zugleich still. Ruft über den Fluß. Schweigsam, nicht unhörbar. Ich bleibe mit der Hand an der Stirn. Eine Bassena im Haus. Breites Grinsen im blauen Bassenagesicht kräuselt die Wasserhaut. Zittert und schwingt. Das Verschwinden vom Gang in die Tür wärmt mit Geborgenheit. Kleine Laute kriechen unter den Schnee. Ein Wachshund der Garten. Durch die Winterstille glitzert das Gebimmel der Troikaglöckchen. Und über die Dächer hin wimmert der Geigenbogen.
6.
Meine Geschichte mit dir überall jenseits der Grenze. Donnerauftakt. Fünf Vorzeichen in der Luft, fünf Halbtöne,Sturm. Doch hinter dem Wald geht die Stille auf und dunkel das Licht. Zungen glitzern im Fluß. Schnellen hoch. Und es sinken die Stimmen.
Die Cellobarke eine schwankende Bühne. Auch wenn ich auf der Stelle trete, ist meine Trittsicherheit dahin. Dazu braucht es kein Alter. Die Zueignung die Musik. Luftgeist! Eine Zahl und ein Freund. –
Erstmals beschlossen, zu versagen. Nahe ein Mensch, aber nicht... Diesem Zwang zu entschlüpfen, diesem erstickenden Rohr. Dieselbe Stadt, derselbe Fluß. Nicht dieselbe Welt.
Dieselbe Stadt..... Du ich. Dieselbe Welt, ein Wirbeln zwischen Himmel und Erde. Eine Geschichte, die widerfährt. Eine Sinfonie eine Sonne.
Eine Welt, die sich nach oben öffnet.
Und die Schrift einer Stadt. In der Dachrinne liegen. Im Sommer. Zurück zu Timaios .
7.
An den Punkt. Zu den Ideen. Was schreibt die Schrift einer Stadt. Was schreibt von oben die Schrift einer Stadt. Was schreibt die Vogelschrift einer Stadt. Was schreibt die Stadt von der Erde. Eingenäht an den Grenzen ins Land. Unentwegt verschiebbar die Naht. Zurück an die Mündung. Von oben. Da mündet die Stadt aus der Landschaft. In die Stadt. Da ist der Fluß einer Stadt. Da ist eine Flußstadt. Da sind Flüsse die Stadt. Da mündet die Stadt in die Bahnen. In die Straßen, ins Zuggeflecht. Da mündet das Straßengeflecht in die Stadt.
Quelle: (Manuskript)