MITGLIEDER

Text von:
Karin Spielhofer

ich schaue auf

ich schaue auf, und wer kommt mir entgegen, der sichelmond steht klar am himmel. ich stürze auf ihn zu, aber nichts als meine schritte liegen auf dem boden, und wie stehe ich jetzt da mit dem nachtschatten, und das straßenlicht will mir heimleuchten bis der vollmond in das geschäft scheint und es etwas aufhellt, und niemand außer mir stehen bleibt, um die auslage zu betrachten, weiße gegenstände auf konsolen oder schwarz oder grau, die farben sollen mich anziehen. ich käme ja ohne tage ganz gut durch. denn auf den mond kommt es an. immer kommt es auf den mond an, beim betreten des mondes ist eine anziehungskraft nicht zu spüren, der fuß tritt leicht auf geschmolzenes blei, wie von luftgewehren beschossen, und es wird ein spaziergang. doch die nacht in der stadt ist trocken, und der straßenbelag ist sichtbar, auch den rinnstein kann man unter der straßenbeleuchtung sehen, der gehsteig ist ebenfalls sichtbar, oben am lichtmast ist die leuchte zu sehen, das licht wird für die nacht eingeschalten, und ich bin wieder da, auf dem gehsteigpflaster, ich sehe mich um. das licht kommt aus den schaufenstern, auf die fahrbahn leuchten die scheinwerfer der fahrenden autos, es leuchten die rückstrahler der fahrenden und der stehenden autos, auch die scheinwerfer der in der fahrspur stehenden autos leuchten, die menschen gehen ohne lichtzeichen auf den gehsteigen oder überqueren finster die straße, das licht kommt aus der schrift, die schrift kommt aus der werbung, die nacht ist trocken, die schrift ist rot an der wand und blau über der tür, das angebot leuchtet, die nacht wird aus der stadt geleuchtet, menschen gehen ohne rückstrahler über die straße, die fahrbahn wird von oben beleuchtet, die straßenleuchten hängen an drahtseilen über der fahrbahn, die straße ist für den verkehr beleuchtet, der mensch ist auf der straße nicht erleuchtet. das licht bleibt auf der straße, während der mensch die straße verläßt, bis er oben in der wohnung ankommt, und aus dem fenster sein licht dringt, das die straße nicht beleuchtet, im zimmer drinnen wird vielleicht geküßt, die lippen springen auf, die jungen hunde, sie stürzen auf den ankömmling zu, von den hell erleuchteten auslagen fällt das licht auf den straßenbelag, die nacht ist so trocken wie die fahrbahn, das licht hängt von drahtseilen über der fahrbahn, wir haben nicht genug hände, um alle diese angebote zu ergreifen, der mond ist trocken, über der fahrbahn leuchtet es rot, dann wird es gelb, und schließlich ist es grün.


Quelle: um räume, edition CHarts, wien 2001