MITGLIEDER

Text von:
Rudolf Stueger

Auszug aus SEGENWERKSBESITZER

(...) Blind muss man sein, um ihm zu vertrauen. Brutal wie seine Säge, zeigt er rücksichtslos seinen Mitbewerbern die messerscharfen Zähne. Überall mischt er mit, in der Wirtschaft wie beim Kartenspiel im Wirtshaus. Locker fallen ihm die Sprüche, wie warmes Sägemehl, zwischen den alpinweißen Zähnen hervor und überzeugen seine Anhänger (er hat einen ganzen Fuhrpark davon). Dass er seinem Kind im Wald einen Zapfenstreich spielt, darüber will niemand etwas wissen, wenn der Sägewerkbesitzer eine Stammtischrunde schmeißt. Die Menschen um ihn haben nur eine Stimme, der er kein Gehör schenkt, er will sie nur zählen. Das Kind hat noch keine Stimme, es dürfte sie auch nicht benutzen; zuviel könnte es sagen. Und wieder schlägt er im hirschgeweihgesäumten Vorhaus dem Kind auf die Schläfe und bringt es dazu noch mehr zu stottern und öfter ins Bett zu pinkeln, damit es die Schläge verdient. Schlagen Sie zu!, steht in seinen Werbeprospekten geschrieben und so kann man sich an ihm und seinem Holzblockhaus ein Beispiel nehmen.

 

Schon steht er vor der Tür, der heilige Wahlsonntag unseres Herrn. Der Kirchgang ist eine schöne Pflicht. Der Sägewerkchef hört schon die Stimme des heiligen Jesus auf dem Wahlzettel sein Kreuzerl aufstellen, auf dem der Sohn des Volkes heute nur für dessen Partei sterben soll. Der neue Pfarrer fickt keine Kinder und so ist der Sohn als Ministrant dabei, denn die besten Seiten des Kindes hebt der Vater sich gerne für das eigene fleischige Wohl auf. Wohlauf geht’s nach der Predigt vom hochheiligen Messezentrum ins Wirtshaus, dem Wahlbüro der Marktgemeinde, wo die Blitzlichter der örtlichen Berichterstattung den Spitzenkandidaten erwarten. Dort steckt er sein Ding in den Schlitz und die Zähne blitzen den Linsen entgegen – das Kind wird auf den Arm genommen. Der Familiensonntagsspaziergang führt in die Wahlzentrale im neu gebauten Trachtenvereinshaus. Gespannt steht die Sägewerksfamilie vor dem Bildschirm. Der Kandidat trägt vor Aufregung eine raue Latte in der Hose, die das Kind, zur Feier des Tages, heute noch hobeln wird dürfen. 

 

Im Sägewerk brennt’s! tönen die Rufe – und alles rennt. Angesengt steht es da, das heilige Segenwerk, in seiner eigenen Asche versinkend. Verschwindende, lodernde Reste erblickt er noch, der Sägewerkchef in lodener Weste. In Flammen steht es, sein Lebenswerk, in die er sich stürzt, um zu retten was schon lange verloren ist (er hat sich noch nie zurückhalten können). Die Frau hält das Kind an seiner kurzangebundenen Leine und ihnen beiden die Augen zu, im Augenblick da er sich in sein Glutnest wirft. Da brennt es, sein Leben, und er legt sich selber nach. Wo sind unser heiligster Gott und seine hochgepriesenen Mitarbeiter? – mit der freiwilligen Feuerwehr beim Kirchenwirt? Mit Blaulicht kommen sie angefahren – Weihwasser marsch! – es heult die Sirene und Irene, die Frau, und ihr Kind heulen mit ihr Tränen das Feuer zu löschen; doch der neueste Bürgermeister der trauten Marktgemeinde steigt nicht mehr aus seiner Asche.

 

Die Segenwerkskapelle spielt ihn schön, den Trauermarsch, als man den seligen Chef zu Grabe trägt. Die Mitarbeiter tragen Trauer, doch vielmehr Furcht vor der Arbeitslosigkeit in ihren Köpfen und Herzen. Das Kind und die Mutter weinen Rotz und Wasser – sie sind jetzt erlöst. So lässt man ihn hinab, damit er hinauffahren möge in seinen angebeteten Himmel, im maßgetischlerten Eichensarg. Darin liegt er, weich gebettet, umhüllt von den Brettern seines Lebens-Werkes.

 

Dem Kind gefällt die Blasmusik; dass es bald nie wieder glücklich werden wird können, weiß es noch nicht und unschuldig befühlt es in seiner Rocktasche einen einsamen Zapfen.

 

Quelle: Bereuter/Rußmann (Hg.), WORTLAUT 05. Luftschacht, Wien 2005