MITGLIEDER

Text von:
Christine Mack

Textprobe aus „Solange wir träumen“

Der Klassenlehrer hatte uns ermutigt, unsere Berufswünsche zu äußern. Die Berufsberaterin würde uns sagen, wie wir unser Ziel erreichen könnten. Ich hatte ihn beim Wort genommen und sagte zur Berufsberaterin, während sie mein letztes Zeugnis begutachtete, Journalistin wolle ich werden. Wie stellst du dir diesen Beruf vor, hatte sie gefragt. Ich wolle über die Ölkrise berichten. Und über Mutter Teresa in Indien. Ich könnte auch Annemarie Moser interviewen. Oder sonst wen. Sie hatte geschwiegen und dann gesagt: Du als Frau willst Journalistin werden?
Oder ich werde Schauspielerin, hatte ich nachgesetzt. Über ihre Brille hinweg hatte sie mich weiter angesehen. Mit diesem Zeugnis?
Ich will keine Matura machen, hatte ich gesagt. Weil mich nicht alles interessiert, was ich für die Matura lernen müsste.
Ja dann, hatte sie gesagt, dann vergiss das.
Ich hatte mir dabei zugesehen, wie ich ihren krummen Schädel in einen Schraubstock zwängte. Und von allen Seiten die Schrauben festzog. Der Schädel war kleiner und kleiner geworden, bis kein Molekül mehr Platz hatte. Nur der Mund mit den breiten Lippen war unverändert geblieben. Er hatte sich weiter bewegt, aber ich hatte nichts mehr verstehen können. Es würde ihm nicht mehr gelingen, mir meine Träume zu zerreden. In dem verzogenen, beinahe verschwundenen Gesicht waren keine Augen mehr, die auf das ahnungslose Mädchen vom Land hätten herabschauen können. Als ich aufgestanden war, weil ich mir diesen lächerlichen Menschen nicht mehr hatte ansehen können, hatte er mir seine Hand über den Tisch hingestreckt. Ich hatte getan, als sähe ich sie nicht und war grußlos aus dem Zimmer gegangen.

(Quelle: Solange wir träumen, Picus-Verlag, Wien 2016)