MITGLIEDER

Text von:
Claudia Bitter

Zeiten im Jahr und darüber hinaus

wie der Schnee die Hauswand beschriftet
legt sich auf die Augenlider

weiche Wörterflocken
schmelzen
zu Winterlauten
in den Pupillen

Schneeschindeln duften
wie Klaviermusik

(Winter)


der Regentropfen
den ich mit der Fingerspitze
von dem dünnen Ästchen
gepflückt habe
verriet mir
ganz im Vertrauen
seinen Namen

an den Hausmauern
umgarnen sich Schatten
ihre Gesichter glänzen

(Frühling)

 

bevor Gras auf meinen Lidern wächst
öffne ich die Augen
und bin ein Halm
er spürt den Wind eines Wortes
es klingt wie
alles

ich flechte einen Zopf aus Sonne
schnüre das Gedächtnis zu Bündeln
und bringe sie aufs Dach zum Dörren

(Sommer)


ein Wort aus Haut und Haar
spröde nach dem Regen
in die Luft geschrieben
wohlschmeckende Knochensterne im Mund
dazwischen Leerzeichen
die nach mir riechen

Trübsal heißt die Lichtung
wo die Schatten sich ins Licht stehlen

(Herbst)


da ruht die Zunge gut
an einem weißen Ort
ein fast Nichts
wie ein Blatt Papier
wie ein dünner Zwirn

Nichts hat sechs Buchstaben
das ist alles
da ruht die Zunge gut

(Nichts)


damit die Schatten zu zittern aufhören
ein kleines Augenmerk aufgewärmt
einen Hügel auf mich genommen

Treibholz sorgt für Abendstille
die Schatten legen sich ins Nest
alte Gerüche singen Schlaflieder
zwischen den Lauten
stöbern und munkeln
dünne dunkle Figuren
schiefe trotzige Kinder
ihre Stimmen sind versalzen
ihre weißen Tränen heimatlos

ich hülle sie ins Zwerchfell

die Wände werden trotzdem wund
wache Schatten brechen an ihnen
ich sammle Lichtzahlen
Staubpartikeln
Holzfasern
ich füttere
klebe
knüpfe
bis die Zeit nach Hause kommt

(Zeit)