MITGLIEDER

Text von:
Simon Konttas

Der kleine Genuss des Alltags

Die verführerisch weiche Honigstimme
des Balladensängers aus den versteckt angebrachten
Lautsprechern, in der Bäckerei, in der ich stehe,
aus dem Fenster schauend.

Ein Bus parkt,
in Wintermäntel eingepackte Menschen,
die Tram hält,
ein Rollstuhlfahrer rast vorbei,
die weiche, sentimentale Honigstimme,
bei der man eine Minute lang
denken muss an trauliche Schäferstündchen
im Bett, während daneben der Ofen bullert,
nicht weniger Kitsch,
wenn man’s selber auch einmal erlebt hat,
eine Minute nur, eine trügerische, dumme.

An den Stehtisch neben mich hat sich ein Mann gestellt,
der einen Kakao trinkt und ein schmuck
aussehendes Törtchen (Mousse au Chocolat) isst,
das er jetzt, seinen kleinen Genuss des Alltags,
wie er sagen würde,
mit der Gabel zu Matsch traktiert.

Gestern schien mir die Welt noch bewundernswert
mit ihren Wolkenkratzern, den
den Triumphen der Logistik,
den internationalen Konferenzen,
den Schiffen, den Flugzeugen,
dem rasenden Verkehr von Nachrichten und Bildern,
den Menschen,
die sich zu Massendemonstrationszügen zusammentun
für den Frieden, für die Gerechtigkeit, die Umwelt,
heute aber finde ich den vor der Fensterscheibe
vorbeistolzierenden Schoßhund klüger,
ich finde heute, er hat recht.  

Übrigens waren graue Wolken am Himmel, aber sie
lichten sich jetzt, ein helles Blau offenbarend,
durch das ein Flugzeug seinen Kondensstreifen pflügt …