MITGLIEDER

Text von:
Britta Badura

Im Hagel der Bilder

Zuhause ist nicht mehr der abgetretene Korkboden und die abgewetzte Couch, sondern nur noch die Erinnerung an das Stück Würfelzucker, das wir in die Marille steckten, bevor wir sie in die Knödelmasse drückten, und wie die Lichtfrau sich abends kopfüber die Haare bürstete. Ich bin in den Stammbäumen von Fremden zuhause und in zerschlissenen Kochbüchern mit Speisen von der Donau bis ans Schwarze Meer.

Ich war einmal zuhause im Truthahnstall, in dem ich im Kibbuz tanzte, in den Pfefferschoten und Safranfäden, im Knochenmehl, das ich ins Meer streute. Auf schwebenden Inseln. Unter Zuckerwattezelten und Karamellkreisen, auf Autobahnen, auf Umwegen und Forststraßen. Im Ablecken der Kochlöffel, im Wald der kindlichen Angst, im Licht der Glühwürmchen, auf Gleisen und Stegen, im Popcorn.

Ich war zuhause im Aufschütteln der Tuchent und in Bleistiftstrichen auf Transparentpapier. In blauweißroten Badeanzügen, gelben Gummibooten und Buchten. Im Fell von streunenden Hunden und deren Gejaul in der Nacht. In Hochhausbeleuchtungen und im Quietschen der Turnschuhe. Im Duft der Kaffeemaschine und im Grau des Morgens. Im hellen Seegrün und Korallenrot und im Sprung vom Zehn-Meter-Brett.

Ich war zuhause in den Stürmen der Zweifel und auf dem morschen Steg, der über den Fluss des Lebens ragte. In den runden Öffnungen der Flaschen und in deren Schiffshorngeräusch. In den Fenstern, die nach Südosten zeigten, und auf den Fensterbrettern, wo wieder jemand vergessen hatte, bunte Blumen zu pflanzen. In den hohen Absätzen von Schuhen und im flachen Bauch, der noch keine Kinder trug.

Ich war zuhause im Benzingeruch an den Tankstellen und in den Schlaglöchern der Straßen, in den Fußwegen voller Sumpfdotterblumen, in aufgeklebten Schnurrbärten und Plastikperücken für Partys, in Pfirsichspritzer, Caipirinha und Absinth. In wedelnden Hundeschwänzen und sogar in Katzenstreu. In der Küche mit den Flaschen am Schrank, die als Kerzenständer dienten. In den Fenstern der Welt und Feuertönen.

Ich war zuhause in jedem Lidstrich und in schwarzen Shirts. In weggeworfenen Nächten, als ich mit verschmierter Wimperntusche nach Hause kam und heiß duschen ging. In Hafenstädten und im Fischgeruch der Märkte. Im Widerhall der Wellen an die Molen. In der Krawatte, die ich meinem Vater binden durfte, im roten Nagellack, im Lesen unter der Bettdecke, in Kartoffelpuffern mit Apfelmus.

Ich war zuhause in verloren gegangenen Worten. In den Fingerkuppen und in den himmelwärts gebogenen Fußnägeln, die ich von meinem Vater geerbt habe. In den traurigen Bernsteinaugen meiner Mutter. Im Lachen, das es in meiner Familie vorher nicht gab. In den Schnitten meines Körpers und der Kraft meiner Fußsohlen. Im Hinhocken vor ein Kind, dessen Mund klebrig von Eis verschmiert war.

Heute bin ich zuhause in den Küstenlinien der Meere, die ich noch bereisen werde. In den Blumensamen, die ich jeden Frühling säe und die die Vögel fressen, bevor der erste Regen darauf fällt. Im Zucken der Tagkanten und neuen Träumen. Im Schimmer seiner Augen. In den Zärtlichkeiten der Jahreszeiten, in Farnknäueln und Federgestrüpp, in der Hopfenlaube und im Hahnenschrei, im gurrenden Glück.

(erschienen in Am Erker 81)