MITGLIEDER

Text von:
Lisa-Viktoria Niederberger

Alles anzünden wollen

Wie ein Eisblock sitze ich auf Carolines Beifahrersitz. Irgendwann werde ich geschmolzen sein, einfach weg. Dann hat es mich gegeben und ich weiß nicht, wer sich um das, was von mir übrigbleibt, kümmern wird. Ich wische den Gedanken weg und schaue mir die Stadt an. Meine Stadt, mein Viertel. Der Park mit den beleuchteten Bäumen, über die Rudi sich so echauffiert hat. Rudi. In mir ist ein Tornado. Ganz still sitze ich, ich bin eine Puppe. Eine Puppe mit einem Kloß im Hals. Eine Puppe mit Formel-1 Herzschlag. Ich bin ein Cash-Test Dummy. Wie ich in den Gurt falle, wie er mich in den Hals schneidet, als Caroline plötzlich bremst. Als ihr das Auto abstirbt, wir mitten auf der Straße stehen, eine Straßenbahn klingelnd bremst, wir von allen Seiten angehupt werden. Caroline rollt von der Kreuzung. Parkt vorm Schneider. „Es tut mir leid. Es geht gleich wieder“, sagt sie und erst da merke ich: Caroline weint. Ich will den Kopf zu ihr drehen, sie anlächeln, aber es geht nicht. „Ich weiß gar nicht, wo wir hinfahren. Ist das mit den Polizeistationen auch so, wie mit den Postämtern? Dass es sie immer gegeben hat, und auf einmal sind alle weg?“ In meiner Jackentasche vibriert Rudi. Ich sehe, wie er vor meiner Wohnungstür steht, wie er pumpert. Klingelt. Dann den Schlüssel, den ich ihm längst abnehmen wollte, benutzt. Man nimmt Rudi nicht einfach einen Schlüssel weg. Man nimmt Rudi gar nichts weg. Der Gerichtsvollzieher hat Rudis Fernseher genommen, das Motorrad. Ich hätte das gar nicht wissen dürfen. Neugierig war ich, warum wir uns immer nur in meiner Wohnung treffen, ob er etwas zu verstecken hat. Ob es eine andere Frau gibt. Eine andere Frau wäre mir lieber gewesen als ein Partner im Privatkonkurs. Der es geschafft hat, einen Privatkonkurs ewig zu verstecken. Wie süß ich es gefunden habe: der schusselige Rudi, hat wieder sein Geld zuhause vergessen. Natürlich zahle ich das Essen. Wie Rudi jetzt in meiner Wohnung ist. Ob er etwas kaputt macht. Ob er schon verstanden hat, dass Caroline und ich durch die Waschküche ins Nachbarhaus sind.

„Hallo BMW, such eine Polizeistation in unserer Nähe“, sagt Caroline zum Auto und auf dem Display vor uns erscheinen gelbe und rote Linien. Ich will nicht zur Polizei. Ich kann das nicht erzählen. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht beim Kaffeehäferl. Wie es an der Tür klingelt und ich es fallen lasse, sage, dass Caroline mir nicht helfen braucht. Wie ich ihr erkläre, ich bin schreckhaft in der letzten Zeit. Ich den Boden wische und dem Mann in der roten Uniform an der Tür zwanzig Euro für das Rote Kreuz gebe und dann doppelt zusperre. Wie Caroline mich anschaut, die Kuchengabel im Mund, mit so einem Blick. Wie ich mich wieder beruhige und zwei Bissen von der Mohntorte nehme. Wie mein Telefon auf dem Couchtisch klingelt, Rudi von meinem Display grinst, obwohl ich ihm gesagt habe, ich habe keine Zeit. Wie alles wackelt, innen und außen. Wie ich kurz denke: Erdbeben! Wie ich das Fenster aufreiße und die Luft nicht weiterkommt, als zum Brustbein. Caroline mich fragt, warum ich nicht abhebe. Wie das Telefon nicht aufhört zu klingeln. Wie Rudi immer wieder anruft, ich mir eine Zigarette nach der anderen drehe. Wie mir graust vor dem Handy, vor dem Gesicht auf meinem Handy. Wie ich sage, mit einer Handbewegung zur Couch, dass die wegmuss, dass ich alle neu machen werde, hier drinnen. Caroline sagt: „Aber die ist doch neu“, und ich denke, wenn du wüsstest, was auf dieser Couch alles, da würdest du auch. Zerhacken. Anzünden. Alles anzünden wollen. Wie Caroline mein Handy nimmt und mich fragt, warum Rudi mir seinen GSP Standort schickt, vor meinem Haus steht. Warum er schreibt: WIR HABEN PLÄNE MEINE LIEBE. In Großbuchtstaben. Warum Rudi schreibt: WENN DU NICHT RUNTER KOMMST, KOMME ICH RAUF. Wie der Kloß im Hals sich löst und mir Caroline ins Bad nachkommt, mir die Haare hält, als ich kotze. Wie sie die Stelle sieht. Dass da, wo der Hals in den Schädel übergeht, dass da wo Haare sein sollten, jetzt ein tischtennisballgroßes Nichts ist. Weil Rudi gesagt hat: „Wir gehen noch nicht schlafen, du bleibst hier sitzen.“ Wie ich weine auf dem Badezimmerboden. Caroline frage, ob man die Haare wieder hätte annähen können, ob sie wusste: Kopfhaut ist weiß. Wie währenddessen mein Handy immer noch klingelt. Wie ich gar nicht mehr weiß, wann das alles begonnen hat, wann es gekippt ist.

„Ich pack es nicht, dass das passiert“, sagt Caroline und fährt unter der Autobahn durch. Caroline weiß nicht, wie unglücklich Rudi ist. Wie lange und wie gut Rudi sein Unglücklichsein versteckt hat. Seinen Konkurs und das Trinken. Caroline war nicht beim Ausflug nach Wien dabei. Wie Rudi mich bis St. Pölten im Auto anschreit. Dem Tankwart zugezwinkert, habe ich, sagt er. Wie er beide Hände gebraucht hat, freihändig auf der Autobahn fährt, weil er mit dem ganzen Körper schreit. Niemand fragt so scheißfreundlich nach dem Kloschlüssel. Ob ich so eine bin, die sich vom Tankwart schnell auf dem Scheißhaus. Wie Rudi aus dem Handschuhfach eine Wodkaflasche holt, es das ganze Auto nach rechts schiebt bei dieser Bewegung. Wie er lacht, als ich schreie.

„Ich glaube Rudi ist neidisch auf dich. Weil du es hinbekommen hast. Du hast deine Firma. Bist erfolgreich. Er schaut dich an und sieht: er ist nichts“, sagt Caroline und streichelt meine Hand.

„Ich wollte ihm wirklich helfen.“

„Ich weiß. Ich weiß, dass du ihm helfen wolltest.“ Carolines Stimme ist ein Pflaster.

Wir starren auf den dunklen Parkplatz vor der Polizeistation. Auf die armseligen Bäumchen, die schief gestutzten Cotaneasterhecken. Jemand hat alte Möbel, nasse Kartons und Leergut am Straßenrand deponiert.

 „Wenn das so ein Facebook-Video wäre, dann würden wir hier jetzt ein ausgesetztes Tier finden“, sage ich. „Eine verwaiste Babykatze. So ein flohverseuchtes, halbtotes Ding mit verpickten Augen. Wir würden sie mit nach Hause nehmen und uns um sie kümmern.“ Caroline weint wieder, aber ich, ich sehe mich, wie ich mein Gesicht in warmes Fell drücke. Wie ich auch so eine Pflaster-Stimme habe und murmle, dass alles wieder gut wird. Dass ich ja da bin, alles Schlimme jetzt vorbei ist. Dass alles wieder gut wird.