MITGLIEDER

Text von:
Harald Gebhartl

schnitzlers morgengrauen

Weit und breit kein Leben, gottseidank, keine Schritte, nichts, nur tiefe seelenlose Nacht... und zwischen zwei dreckig überladene Mülltonnen hingestreckt, eine alte tote Frau.
Regenwasser ging in Bächen durch die tiefen Furchen in ihrem alten Gesicht und nahm aufgeweichtgelöste Schminke über ihren Hals hin mit, in den Kragen ihrer irgendwann einmal weisser als weiss gewesenen Bluse hinein. Mehr Schminke, als für eine Frau dieses Alters, auch vor dem zwischen zwei Mülltonnen hingestreckten Zustand, hätte schick gewesen sein können...
Soalso wollten sich Mülltonnendreck und Regenwasser und diese vielzuviele Schminke und ihr AltenBlut und stadtstrassenübliche PisseundScheisseReste unweigerlich miteinander vermischen, zu einem nachtschwarzen Brei auf Asfalt, in dem sie dalag und übel roch.
Mit der rechten Hand hielt die Alte starrverkrampft eine viel zu grosse schwere schwarze Lederhandtasche festgekrallt, deren metallumrahmte LederhandtaschenVerschlussklappe wie ein mageninhaltspeiendes TierMaul offenstand. Demzufolge war der gesamte Inhalt der grossen alten Lederhandtasche grossflächig verstreut hingespien. Zwischen zwei Mülltonnen, zwischen allerhand tatsächlich Gekotztem und Abfall und Müll und dem Altenkörper selber.
Die Haare der Alten waren nicht mehr nur altenblauspülungsmässig friseurschadenfroh violett und klatschnass, sondern stumpf nachtgrau und verklebt wie in Aspik vom gestockten Rentnerblut. Man hatte ihr den Schädel wuchtig zertrümmert und seltsamerweise beide Ohren abgeschnitten.
Schnitzlers Nebel lichteten sich also und er begann augenblicklich seinen Kopf brav auf die Brust der Alten zu pressen, so als müsste er bürgerpflichtig noch einkleinwenig Leben aus ihr heraushören wollen, um sie zivilisiertensinns selbstverständlicherweise noch zu retten, die Alte, sie wiederzubeleben, anstandsgerecht. Schnitzler. Der RetterSchnitzler. Das österreichische Herz Schnitzler. Der ganz normale SuperSchnitzler.
Aber da war nichts mehr in der Alten. Scheisse sagte Schnitzler noch ein wenig abwesend schlaftrunken aus seinen abhebenden Kopfnebeln heraus in dieses wirkliche Leben hinein. Wahrscheinlich abgeklatscht und ausgeraubt von diesen konsumverpesteten jungen Menschen, die sich so gar nicht mehr auskennen tun in dieser HeutzutageWelt da, keine Ahnung mehr was man tun darf und was nicht, alles fernsehbrutal schmerzundgefühllos, verlassen von allem bürgerlebendigem Menschsein. Schluchz. Diese armen kleinen Schweinekinder, diese liebeskranken channelhoppenden HirnundZeitsurfOpfer.

Quelle: romanvorlage